Artikel von: Hans-Jürg Buchmann
Der 20. Januar ist der Geburtstag eines berühmten Mannes unserer Region. An diesem Tage, im Jahre 1606, erblickte Nicolaus Schmidt, genannt Künzel, in Rothenacker das Licht der Welt. Leben und wissenschaftliches Wirken des gelehrten Bauersmann wurden schon öfters beschrieben.
Aus Anlass seines 400. Geburtstages wollen wir uns noch einmal näher mit seiner Geschichte beschäftigen und ihn in nachfolgenden Zeilen würdigen.
In Rothenacker, an der Dorfstraße, die nach Mißlareuth führt, steht ein unübersehbar wohlgepflegtes Fachwerkhaus. Hier stand vor 400 Jahren die Wiege des kleinen Nicolaus.
Geboren wurde er als Sohn von Johann Martin Schmidt und Frau Katharina (geb. Kändler) in einer Zeit der Ausbeutung und Unterdrückung der Bauern. Hart und arbeitsam war deren Leben, um die geforderten Abgaben leisten zu können.
Von der Mithilfe auf dem Bauernhof bestimmt war die Kindheit von Nicolaus Schmidt im abgelegenen Rothenacker. Eine Schule gab es zur damaligen Zeit in seinen Heimatdorf noch nicht. Es ist also nicht ungewöhnlich, dass Nicolaus Schmidt schon 16 Jahre alt war und weder lesen und noch schreiben konnte. Nach alter Dorfsitte wurde er vom strengen Vater frühzeitig zur Arbeit angehalten. Und dennoch war es eine Freude für ihn, wenn er mit seiner Gänse- oder Rinderherde vom frühen Sommer bis zum späten Herbst drunten an der Wisenta, dort auf den Holzwiesen oder oben auf den Fluren am Mißlareuther Weg, in Gottes freier Natur mit Altersgenossen herumtollen konnte. Der Aufenthalt in Feld und Flur brachte den aufgeweckten Jungen der Natur näher. Wie ehrfurchtsvoll, wenn es schon dunkelte und manches neugierige Sternlein vom Himmel herunterschaute, wenn er mit seiner Herde heimwärts zog, zum Himmelszelt emporschaute und sich seine eigenen Gedanken darüber machte.
Der junge Schmidt stand bereits im 17. Lebensjahr, als seinem Vater ein Knecht diente. Dieser konnte zwar auch nicht richtig lesen, aber er konnte doch wenigstens die Buchstaben schreiben. Was für ein unendliches Glück für Nicolaus. Er fasste den Entschluss lesen und schreiben zu lernen. Jetzt waren allabendliche Lese- und Schreibübungen im Schmidts Hause an der Tagesordnung. Doch der Vater, welcher fürchtete, dass dadurch die Haus- und Feldarbeit leiden würde, machte der ganzen Überei einen dicken Strich durch die Rechnung. Kurzerhand jagte er den Knecht aus dem Hause.
Der lernbegierige Nicolaus hatte sich aber bereits die Kenntnis der Buchstaben angeeignet. Im geheimen hatte er sich ein Abc-Buch verschafft. Zu seinem Glück wurde jetzt der lerneifrige Schüler krank. Durch einen Sturz bekam er einen lahmen Fuß, musste das Bett hüten und hatte nun die beste Gelegenheit, sich im Lesen und Schreiben fortzubilden.
Von der Krankheit wieder genesen, ging er sonntäglich zum Gottesdienst im nahen Mißlareuth und hörte aufmerksam der Predigt zu. Wie es in dieser Zeit üblich war, wurden die Predigten meist auf Latein gehalten. Dies gab ihm die Veranlassung nun auch die lateinische Sprache zu erlernen. Freilich, viel Zeit zum Lernen hatte er nicht, ausser sonntags, nachts und mittags bei Tische. Umsomehr sind seine Selbstentwicklungskraft, seine Beharrlichkeit und Ausdauer und sein Fleiß zu bewundern.
Eine große Freude bereitete der Schullehrer Mißlareuths dem jungen Schmidt dadurch, dass er ihm einen Katechismus in deutscher, lateinischer, griechischer und hebräischer Sprache schenkte. Das war der Grund, nun auch griechisch und hebräisch zu lernen.
Herbst- und Winterstürme brausten über die Fluren von Rothenacker. Die Erde hatte ihr weißes Schneekleid angezogen. Auf Feldern und Wiesen war es still geworden. Aber desto fleissiger wurde zu Hause gearbeitet. Wie in den meisten Gehöften des Dorfes, wurde auch bei Schmidts von früh bis abends fleißig der Dreschflegel geschwungen. Bei dieser Arbeit eignete sich Nicolaus Schmidt die Kenntnis der fremden Schriftzüge an, indem er die Buchstaben an die Innenwände der Scheune schrieb. Dieses Verfahren wandte er auch bei der Erlernung aller ferneren Alphabete an. Pfarrer Heinrich Scherber in Berg, der Schmidts Leben beschrieb, berichtet, dass der gelehrte Bauer 15 orientalische Sprachen beherrschte und auf den Gebieten Musik, Heilkunde, Astrologie sowie Jura und Versemachen ein Genie war.
Die errungenen Sprachkenntnisse verbreiteten den Ruf des gelehrten Bauern bald in weite Ferne und so wurden Fürsten und Professoren auf ihn aufmerksam. Man ließ Nicolaus Schmidt da- und dorthin kommen, um sich von seinem Wissen zu überzeugen. So zog er wandernd im Jahre 1633, mit seinem mit Büchern beladenen Schubkarren, nach Weimar zum Hofe des Herzogs Ernst. Dieser was so sehr angetan, dass er ihn ganz an seinem Hofe behalten wollte. Schmidt blieb auch längere Zeit dort, wanderte aber bald wieder in sein liebes stilles Heimatdorf Rothenacker zurück.
Im Jahr 1637 ehelichte Nicolaus Schmidt Ehefrau Elisabeth Schmidt aus Rothenacker. Ihnen wurden neun Kinder geboren, davon fünf Söhne und vier Töchter.
Der 30-jährige Krieg ging auch an seinem Hof nicht spurlos vorüber. Sein Haus wurde von Soldaten niedergebrannt und die mittlerweile aus 600 Büchern bestehende Bibliothek zum Teil geraubt.
Doch auch nach dem Krieg ging er wieder auf Reisen, um sich Bücher zu besorgen und in Bibliotheken zu arbeiten. Er lernte die berühmten Bibliothekare und Gelehrten Daubert und Dillherr. Im Jahre 1644 wurde er an der Universität Altdorf bei Nürnberg in Immatrikulationsliste aufgenommen.
Der Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen ließ ihn 1645 nach Dresden kommen. Dort wurde er reichlich mit Geld und Büchern beschenkt. Überall wo man Schmidt hinrief, machte man ihm Geschenke an Büchern in fremden Sprachen, so dass er zuletzt eine starke und dabei höchst seltene Bücherei besass. Er selbst musste an den besuchten Höfen stets in allen ihm bekannten Sprachen ein schriftliches Denkmal hinterlassen. So auch auf Schloss Osterstein, wo er 1645 auf Veranlassung Heinrichs II., die „Geraische Polyglotte“ schrieb.(Das Vaterunser in 51 Sprachen und dazu noch 130 Alphabete)
Von den Herren Reuß bekam er den Titel „Herr vor Gerichten“ zuerkannt und Steuerfreiheit auf Lebenszeit zugebilligt.
1653 begann Schmidt die Herausgabe seiner Schreibkalender. Der erste Kalender erschien in der Druckerei Mintzel in Hof. Die Kalender beinhalten allerlei Daten, Prognosen und Ratschläge aus der Natur- und Wetterbeobachtungen, zum Pflanzen und Säen, zur Lebensführung, zum Heilen von Krankheiten und vieles anderes mehr. Manches daraus mutet heute wie Aberglaube an. So verwundert es nicht, dass man ihn seinerzeit auch des teuflischen und der Hochstapelei bezichtigte und er sich in seinen Kalendern dagegen verteidigen musste.
Im Jahre 1671 verstarb Nicolaus Schmidt, genannt Künzel. Den Beinamen, oder wie man landläufig sagt, Spitznamen (fast in jedem Dorf haben die Landleute neben ihrem Familiennamen noch einen solchen Spitznamen) hat er von seinem Urgrossvater, welcher Konrad Schmidt hieß und eben Kunz genannt wurde.(Künzel = kleiner Kunz). Bis in die Gegenwart lassen sich noch die Spuren seiner Nachkommen verfolgen.
Oben, auf dem hochgelegenen Bergfriedhof von Mißlareuth, ruht der denkwürdige Mann, welcher groß im Wissen und ein schlichter, aber tüchtiger Landmann war.
Die Gemeinde Rothenacker hat es sich zur Pflicht gemacht, seine Grabstätte zu pflegen, getreu dem überlieferten Ausspruch des gelehrten Bauern, den er noch bei Lebzeiten getan hat und der sich bis zum heutigen Tag bewahrheitet hat: „Solange ihr mein Grab pflegt, wird in Rothenacker bei einem Brande nie mehr als ein Haus abbrennen.“